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5 philosophische Texte, die Dein Leben verändern könnten



Das Buch, das ich am häufigsten in meinen Händen hielt? Das ist definitiv die Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant. Ich liebe diesen Text.


Aber ganz ehrlich: Mir ist es ziemlich Schnuppe, ob Du Dir diese unerhörte Anhäufung von Schachtelsätze jemals antust oder nicht.


Mit den folgenden 5 philosophischen Texten ist's anders: Ich glaube tatsächlich, dass sie Dein Leben verändern könnten – zumindest ein bisschen.


1. Der Mythos des Sisyphos – Albert Camus (1942)


Dieser Text ist einer der Gründe, wieso ich Philosophie studiert habe. Berühren wird er sicherlich auch Dich. Denn die heftige Leitfrage lautet: Ist das Leben überhaupt Wert gelebt zu werden?


Camus Antwort scheint zu Beginn wenig ermutigend: Unsere Existenz ist endlich. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod haben haben viele von uns verloren. Und das schlimmste: Wir stehen einer irrationalen Welt hilflos gegenüber.


Dieses nihilistische Verhältnis des Menschen zur Welt nennt Camus "das Absurde". Er fragt: Bleibt nur der Selbstmord?


Seine Antwort: Nein! Camus litt zwar sein Leben lang an Depressionen und der der 2. Weltkrieg hatte eben erst begonnen. Für ihn hätte es also Gründe gegeben, in Trübsal und Resignation zu verfallen.


Doch er wendet sich gegen die Selbstaufgabe. Denn er ist der Überzeugung: In der Auflehnung gegen das Absurde kann der Mensch Freiheit, Sinn und Glück finden.


Camus wendet die Waffen des Nihilismus gegen sich selbst und entwirft mit viel Wums eine Ethik der Menschlichkeit und Solidarität, einen Appell zum kreativen Schaffen und einen Werbetext für ein bewusstes Leben.


Für mich ist Der Mythos des Sisyphos ein Stück Weltliteratur und ein philosophischer Klassiker zugleich. Vor allem aber schöpfe ich bei seiner Lektüre bis heute Kraft und Hoffnung – gerade auch in dunkeln Zeiten.


2. Jenseits von Gut und Böse – Friedrich Nietzsche (1886)





Jenseits von Gut und Böse attackiert das Christentum, die Demokratie und aufstrebende sozialistische Bestrebungen. Gleichzeitig stinkt der Text geradezu vor elitärem Machogehabe. Klingt verstörend?


Das ist es auch.


Trotzdem empfehle ich jedem, der sich für Philosophie interessiert, dieses Büchlein. Interessant ist weniger Nietzsches amoralische Einstellung. Manchmal empfinde ich diese als geradezu plump.


Spannend ist vielmehr, wie er arbeitet – vor allem dann, wenn er kritisiert. Gerade weil seine Positionen so extrem und seine Sprache so mächtig sind, sticht bei Nietzsche ganz besonders hervor:


Unsere Einstellungen darüber, was wir für gut und böse halten, sind uns nicht angeboren – zumindest nicht nur. Sie sind auch abhängig von gesellschaftlichen und historischen Kontexten.


Klingt platt? Hast du schon tausendmal gehört? Das dachte ich mir vor meiner ersten Lektüre auch.


Doch in diesem Text greift Nietzsche meine Überzeugungen mit einer solchen Wucht an, dass sich die Lektüre anfühlt wie ein Boxkampf. Über meine Meinungen mit anderen zu streiten, bin ich gewohnt. Nietzsche verlagert diesen Kampf in meinen Kopf: ein besonderes und irritierendes Leseerlebnis.


3. Die halbierte Gerechtigkeit – Nancy Fraser (1997)


Nancy Fraser ist eine der bekanntesten feministischen Theoretikerinnen der Gegenwart. Ihr Aufsatz mit dem schönen Titel Die halbierte Gerechtigkeit hat mir deutlich gemacht, wie sehr mich feministische und antirassistische Bewegungen auch als weißer Mann angehen.


Doch keine Sorge: Fraser diskutiert weder Rasta-Frisuren noch Gendersternchen. Worum es ihr geht, ist die Frage, inwiefern ökonomische Gerechtigkeit und kulturelle Gerechtigkeit miteinander verbunden sind. Oder mit anderen Worten: Sie versucht zu verstehen, wie ökonomische Ungleichheit, die Diskriminierung von Frauen, Homophobie und Rassismus zusammenhängen.


Dabei macht sie deutlich: All diese Formen von Ungerechtigkeit zu überwinden, ist gar nicht so einfach. Denn es besteht immer die Möglichkeit, dass die Bekämpfung einer Diskriminierungsform eine andere verstärkt.


Was meint das konkret? Ein sehr radikales und unpopuläres Beispiel: Die Einführung der Ehe für Alle hat Homosexuellen-Rechte gestärkt – aber auch das Konzept der Ehe. Denn mehr Menschen vermögen sich nun für diese Lebensform zu entscheiden.


Die Institution der Ehe ist bis heute verbunden mit problematischen Erbschaftsverhältnissen, einem ganz bestimmten Familienbild und (ökonomischer) Abhängigkeit der Frau vom Mann. Möglicherweise verlangsamt diese eigentlich wünschenswerte Maßnahme also gesellschaftlichen Fortschritt in anderen Bereichen.


Aber aufgepasst! Fraser selbst sagt: Die Vorteile, die homosexuelle Paare durch die Homo-Ehe erhalten haben, sind ein Grund zum Feiern.


Nur: Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass eine solche Einzelmaßnahme zur großen Transformation der Gesellschaft beiträgt. Ein Symptom ist abgeschwächt, die Krankheit aber nicht geheilt.


Du willst gar keine große Transformation? Und das Ganze klingt Dir viel zu marxistisch? Unabhängig von Deiner politischen Haltung: Dieser Text zeigt mit einer unglaublichen analytischen Präzision auf, dass und wie zentrale gesellschaftliche Probleme zusammenhängen. Darüber wie damit umzugehen ist, lässt sich streiten.


4. Freiheit und Politik – Hannah Arendt (1959)



Wer auf die Idee gekommen ist, Barbara Sukowa im Film "Hannah Arendt" als Hauptdarstellerin zu casten, ist mir ein Rätsel. Trotzdem ist der Streifen einer der wenigen Spielfilme über Intellektuelle, die ich mag.


Doch Hannah Arendt ist weit mehr als die im Film porträtierte Publizistin: nämlich die vielleicht wichtigste politische Theoretikerin des letzten Jahrhunderts.


Immer wieder von Neuem berührt mich Ihr Freiheitsbegriff. Arendt geht es nicht um die Frage, ob wir einen freien Willen besitzen oder nicht. Die Willensfreiheit-Debatte interessiert sie kaum.


Im Kern ihres Denkens steckt eine andere Freiheit: Die Möglichkeit des Neuanfangens. Diese Freiheit besitzen wir niemals. Denn wir können sie nur in Bezug auf andere realisieren.


Wir müssen also das Wagnis eingehen, mit der Welt und mit anderen zu interagieren. Nur dann kann wirklich Neues entstehen. Das braucht Mut. Und dieser Mut ist heute vielleicht so wichtig wie nie zuvor.


Das ist die Schlussfolgerung Ihres Vortrags Freiheit und Politik . Die letzten Worte dieses Textes, den sie 1959 (!) verfasst hat, lassen mich erschaudern. Denn sie könnten ebenso gut heute auf einer Klimakonferenz fallen.


"Von der Freiheit der Menschen, von ihrer Fähigkeit, das Unheil zu wenden, das immer automatisch verläuft und daher stets unabwendbar scheint, von ihrer Gabe, das «unendlich Unwahrscheinliche» zu bewirken und als Wirklichkeit zu konstruieren, mag diesmal mehr abhängen als je zuvor, nämlich die Fortexistenz der Menschheit auf der Erde."



5. Was ist Aufklärung? – Immanuel Kant (1784)



Manchmal fühle ich mich beim Kant-Lesen wie ein Archäologe, der mühsam Hieroglyphe um Hieroglyphe entziffert. Umso schöner hat der "Begriffskrüppel" – diese Bezeichnung stammt Georg Simmel – nicht nur komplizierte wissenschaftliche Abhandlungen verfasst.


Es gibt nämlich auch zahlreiche Texte von ihm, die sich an die breite Öffentlichkeit wenden. Was ist Aufklärung? ist der berühmteste.


"Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" – Für viele Menschen liegt in diesem Satz bis heute der Kern der Aufklärung. Hinter ihm steckt eine ganze Menge:


Kant glaubt nämlich an universelle Werte: an Werte also, die auf keiner spezifischen Tradition und Kultur beruhen, sondern sich in der Fähigkeit, selbst zu denken, immer wieder neu offenbaren und bewähren. Diese Idee ist die Grundlage, auf die aufbauend Kant den zitierten Leitspruch formuliert.


Und über diese Idee lässt sich stundenlang diskutieren. In der aktuellen "Sternstunde Philosophie" machen das Omri Boehm und Wolfram Eilenberger.


Das Gespräch ist hörenswert – nicht nur für lesefaule Menschen, die aus welchen Gründen auch immer bis hierhin durchgehalten haben.



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